Gedanken der Regie zum Stück
Die Hexenprozesse in der puritanischen Gemeinschaft von Salem, Massachussets, begannen im Jahr 1692, als einige Zwölf- bis Zwanzigjährige Anzeichen von teuflischer Besessenheit zur Schau trugen.
Damals in Salem
Das Hexengericht stützte sich ausschliesslich auf Zeugenaussagen, was fatale Konsequenzen hatte: Wer unter Verdacht der Hexerei fiel, war so gut wie verurteilt. Als sich der Kreis der Angeklagten von Aussenseitern auf respektable Bürger erweiterte, wurden die Angeklagten allerdings begnadigt, wenn sie Geständnisse ablegten. Hingegen drohte dem die Hinrichtung, der seine Unschuld beteuerte.
Die Mädchen, von denen einige später zugaben, sie hätten es «aus Spass» gemacht, gingen straffrei aus und zeigten wenig Reue. Ob bei einigen die Symptome echt waren – etwa durch den halluzinogenen Getreidepilz Mutterkorn – ist bis heute ungeklärt.
Neulich in Amerika
Arthur Millers Hexenjagd ist einerseits eine künstlerische Verarbeitung der Salemer Hexenprozesse, zugleich aber auch eine Abrechnung mit Senator McCarthy und seinem «Kommitee für unamerikanische Umtriebe» – einer Kampagne gegen die angebliche Unterwanderung des amerikanischen Staatsapparats durch die Kommunisten. Ende des 2. Weltkriegs befand sich die USA in wachsender Angst vor dem sowjetischen und chinesischen Kommunismus. Der junge Senator McCarthy nutzte diesen Umstand und verkündete öffentlich, mehr als 200 heimliche Kommunisten hätten den Staatsapparat unterwandert. Obschon seine Anschuldigungen am Ende widerlegt wurden, führte seine Kampagne zu einer Vielzahl von Repressionen und Schikanen gegen vermutete Andersdenkende.
Arthur Miller war nebst Leonard Bernstein, Charlie Chaplin oder Stella Adler einer von vielen Kulturschaffenden, die in den frühen 50er-Jahren ins Visier des Kommitees gerieten. Miller wurde die Ausstellung eines Reisepasses verweigert. Er wurde gedrängt, Namen angeblicher Kommunisten zu nennen. Diese Anschuldigungen waren stets öffentlich, die beruflichen Folgen für Betroffene unabsehbar.
Arthur Millers Parabel auf diese paranoide Kommunistenjagd ist zugleich eine Warnung an jeden Staat, der unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit die Persönlichkeitsrechte der Bürger missachtet und Rechtsnormen ausser Kraft setzt.
Heute in …
Der Teufel, das Böse – was ist das eigentlich? Sind es die Hexen? Oder die Kommunisten? Über die Jahrhunderte hinweg sind stets neue, stets verheerende Antworten auf diese Fragen gefunden worden. Die kulturelle Deutungsgewohnheit des Dualismus drängt das immergleiche Muster auf: Gott und der Teufel. Wir und die Anderen.
In seiner provokativen Schrift Rassenwahn und Teufelsglaube identifiziert der Historiker und Kulturwissenschafter Wolfgang Wippermann den Rassismus als säkularisierten Hexenwahn. Er zeigt auf, dass Hexenglaube und Rassismus tief miteinander verwandt sind bzw. sich historisch ablösten – nämlich als zwei gleichermassen irrationale Versuche, das «Böse» irgendwo dingfest zu machen.
Zwar entlarvte die Aufklärung Teufelsglauben als Hirngspinnst, gleichzeitig aber entstand die ebenso abstruse «Rassenkunde», mit deren Hilfe die menschlichen Rassen so akribisch klassifiziert wurden, wie einst die verschiedenartigen Dämonen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es schlicht unhaltbar, den Menschen aufgrund einiger weniger äusserer Phänomene in verschiedene «Rassen» einteilen zu wollen. Aus heutiger Sicht ist diese sogenannte Rassenkunde genauso willkürlich und irrational wie der Hexenglauben.
Nichtsdestotrotz finden solche Deutungsmuster leider heute noch Verwendung. So erstaunt es nicht, dass die frühneuzeitlichen Anklagen gegen Hexen erschreckend deckungsgleich sind mit moderneren Vorurteilen und Anschuldigungen wie beispielsweise gegen die «parasitären» Immigranten, «verschworenen» Juden oder «trieb-
haften» Nordafrikaner.
Mit Hinblick auf die aufklärerische Abschaffung des Teufels liess Goethe im Faust den Mephisto lakonisch resümieren: «Den Bösen sind sie los – die Bösen sind geblieben.»
Eva Mann
Regiesseurin
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